1. Einleitung
Der Anhang II des Personenfreizügigkeitsabkommens CH-EU (FZA) koordiniert die Sozialversicherungssysteme der Schweiz und der Mitgliedstaaten der EU. Diese Koordination erfolgt gestützt auf die Verordnung (EU) 883/2004 und die Durchführungsverordnung 987/2009. Diese sind betreffend die Versicherungsunterstellung ausschliesslich dann anwendbar, wenn die Person auf dem Gebiet der EU oder der Schweiz arbeitet und die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates oder der Schweiz hat.

Das FZA CH-EU ist auf die folgenden Zweige der sozialen Sicherheit anwendbar:

  • Leistungen bei Alter, Invalidität, Tod
  • Krankheit
  • Mutterschaft
  • Unfall
  • Arbeitslosigkeit
  • Familienleistungen

2. Unterstellungsgrundsatz
Das Personenfreizügigkeitsabkommen (FZA) CH-EU sieht vor, dass eine Person jeweils nur unter die Gesetzgebung eines einzigen Staates unterstellt wird (sogenanntes Erwerbsortsprinzip, Art. 11 Abs. 1 EU-Verordnung 883/2004). Dieser Unterstellungsgrundsatz gilt nicht für Erwerbstätige, die weder Staatsangehörige der EU noch der Schweiz sind. Für sie sind die Sozialversicherungs-Einzelabkommen oder das AHVG massgebend.

Generell sind folgende Angaben notwendig, damit die Unterstellungsfrage beantwortet werden kann:

  • Nationalität
  • Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers und der Familienangehörigen
  • Vollständige Angaben zu allen Erwerbstätigkeiten und Erwerbsorten
  • Genaue Angaben (Arbeitszeit/Umsatz) zu Home-Office-Tätigkeiten
  • Handelt es sich um eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit?
  • Dauer der Erwerbstätigkeit

3. Unterstellung bei Tätigkeit in mehreren Staaten

Anzahl Arbeitgeber

Erwerbstätigkeit

Sozialversicherungsrechtliche Unterstellung

Ein Arbeitgeber

Am Wohnsitz und in mehreren Staaten

Wohnstaat, wenn dort zu mind. 25 % erwerbstätig, ansonsten im Staat, wo der Arbeitgeber seinen Sitz hat.

Ein Arbeitgeber

Nicht am Wohnsitz, aber in mehreren Staaten

Staat, wo der Arbeitgeber seinen Sitz hat.

Bei Tätigkeit für mehrere verschiedene Arbeitgeber erfolgt die Unterstellung im Wohnsitzland.

4. Unterstellung bei Tätigkeit in mehreren Staaten als Selbständigerwerbstätiger

Erwerbstätigkeit

Sozialversicherungsrechtliche Unterstellung

Am Wohnsitz und in mehreren Staaten

Wohnstaat, wenn dort zu mind. 25 % erwerbstätig, ansonsten im Staat, wo der SE seinen Firmensitz hat. Wenn weniger als 25 % erwerbstätig im Wohnsitzland, wo sich der Mittelpunkt der selbständigen Erwerbstätigkeit befindet (Firmensitz).

Nicht am Wohnsitz, aber in mehreren Staaten

Staat des Geschäftssitzes

5. Gleichzeitige selbständige und unselbständige Tätigkeit in mehreren Staaten

Erwerbstätigkeit selbständig

Erwerbstätigkeit unselbständig

Sozialversicherungsrechtliche Unterstellung

CH

CH

CH

EU

EU

EU

CH

EU

EU

EU

CH

CH

Wird gleichzeitig eine unselbständige und eine selbständige Tätigkeit in mehreren Staaten ausgeführt, so erfolgt die Versicherungsunterstellung immer am Ort, wo eine unselbständige Tätigkeit ausgeführt wird. Damit wird eine allfällige Doppelunterstellung ausgeschlossen.

6. Abrechnung mit ausländischen Sozialversicherungsträgern
Aufgrund der Unterstellungsregeln besteht die Möglichkeit, dass ein Schweizer Arbeitgeber für einen Grenzgänger mit Wohnsitz in der EU mit dem Sozialversicherungsträger des Wohnsitzstaates des Grenzgängers abrechnen muss. Da die Koordinationsregeln gegenseitig anwendbar sind, besteht im umgekehrten Fall die Regel, dass ein Arbeitgeber mit Sitz in der EU für einen Grenzgänger mit Wohnsitz in der Schweiz dem schweizerischen Sozialversicherungssystem unterstellt wird.

In beiden Fällen erfolgt die Abrechnung jeweils nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem die Versicherungsunterstellung des Grenzgängers erfolgt. Dabei ist in erster Linie der Arbeitgeber zur korrekten Sozialversicherungsabrechnung verpflichtet. Eine „Abrechnungs-Stellvertretung“ durch den Arbeitnehmer ist mittels Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach Art. 21 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 möglich. Sodann wird der Grenzgänger an Stelle des Arbeitgebers bei der für ihn zuständigen AHV-Ausgleichskasse an seinem Wohnsitz als „Arbeitgeber“ erfasst und abrechnungspflichtig. Der Arbeitgeber bleibt in jedem Falle für die Bezahlung der gesamten Beiträge haftbar.

7. Entsendungsdauer
Die maximale Entsendedauer für Arbeitnehmer und Selbständigerwerbende im EU-Raum (und damit die Gültigkeit der Bescheinigung A1) beträgt 24 Monate. Die Entsendungsdauer kann vom Arbeitgeber im Interesse des Arbeitnehmers mittels Antrag auf Entsendeverlängerung beim zuständigen Amt des Entsendungsstaates ausnahmsweise über die 24 Monate hinaus bis maximal 5 Jahre verlängert werden. Steht bereits zu Beginn der Entsendung fest, dass die Entsendungszeit von 24 Monaten nicht ausreichen wird, so besteht die Möglichkeit, bereits vor Antritt der Entsendung ein Gesuch für eine längere Entsendung zu stellen.

Selbständig Erwerbstätige mit gewöhnlicher Tätigkeit in der Schweiz bleiben bei vorübergehender Tätigkeit in einem EU-Staat nur dann den schweizerischen Rechtsvorschriften unterstellt, wenn es sich dabei um eine „ähnliche Tätigkeit“ handelt. Diesbezüglich gilt allerdings zu beachten, dass dem Staat des Erwerbsortes das Recht zusteht darüber zu urteilen, ob es sich bei dieser Tätigkeit um eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit handelt.

Renate Bigler, Counsel, lic. iur., M.B.L.-HSG